Das Festessen am Heiligabend hat 12 Gänge!

Auf den ersten Blick feiern die Polen Weihnachten wie wir. Wenn man aber genauer hinschaut, gibt es eine Menge feiner Unterschiede, die wohl darin begründet sind, dass der christliche Glaube im Leben der Menschen noch stärker verwurzelt ist als bei uns. Bekanntlich ist Polen ein weitgehend katholisches Land. Dazu kommt noch viel teils auf heidnischen Sitten beruhendes Brauchtum. Natürlich gibt es auch wie in Deutschland zahlreiche regionale und familiäre Besonderheiten. Der Advent wird als Zeit des Fastens und der Vorbereitung auf das Weihnachtsfest vielfach noch sehr ernst genommen. Sehr umfangreich sind die Vorbereitungen für den Heiligen Abend (Wigilia), der vom Charakter her wie bei uns ein Familienfest ist. Über Tag wird das Essen vorbereitet und der Weihnachtsbaum mit einem Stern auf der Spitze geschmückt. Etwa um 17 Uhr, wenn die ersten Sterne am Himmel erscheinen, beginnt das Fest. Die Familie trifft sich zum Brechen einer geweihten Oblate. Die große Oblate mit einem aufgeprägten Bild der Heiligen Familie an der Krippe wird unter den Anwesenden aufgeteilt und jeder gibt den anderen ein Stück seiner Oblate. Dies soll Zeichen der Versöhnung sein und gleichzeitig das Versprechen, im kommenden Jahr friedlich und liebevoll miteinander umzugehen. Dann wird die biblische Geburtsgeschichte aus dem Lukas-Evangelium vorgelesen, gemeinsam gebetet und gesungen. Polen verfügt über viele alte Weihnachtslieder (koledy), aber natürlich singt man auch „Cicha noc“, das deutsche „Stille Nacht“. Anschließend beginnt das große Essen, das sich über viele Stunden hinziehen kann. Das Menü umfasst meist 12 Gänge, in Erinnerung an die zwölf Apostel oder auch an die zwölf Monate des Jahres. Es wird immer ein Gedeck zusätzlich aufgelegt, das an die Herbergssuche der Heiligen Familie und die Verstorbenen erinnern und für einen unerwarteten oder bedürftigen Gast bereitliegen soll. Es gibt kein Fleisch und keinen Alkohol – Es ist bis Mitternacht ja noch Fastenzeit! – , dafür aber verschiedene Fischgerichte – unverzichtbar der Karpfen! – , Rotebete-Suppe (czerwony barszcz), Piroggen (pierogi) mit Kraut- und Pilz-Füllung, verschiedene Krautgerichte und Salate, Süßspeisen und für den, der noch immer nicht satt ist,  Käse- und Mohnkuchen (sernik, makowiec). Geschenke werden nach dem Essen oder zwischen den einzelnen Gängen verteilt. Unter der weißen Tischdecke findet man häufig etwas Heu und unter dem Tisch oder dem Weihnachtsbaum ein kleines Bündel Stroh, was an die Geburt Christi im Stall mit Ochs und Esel und die Krippe erinnert. Der Weg durch die Kälte zur Mitternachtsmesse tut dann gut nach dem reichhaltigen Essen. Die Geschenke bringt übrigens nicht das Christkind oder der Weihnachtsmann, sondern ein Sternenmann (Gwiazdor). Am ersten Weihnachtstag feiert man in der Familie weiter; jetzt gibt´s auch Alkohol und zu den Resten vom Vortag Bigos, das beliebte Eintopfgericht aus verschiedenen Krautarten, Fleisch, Wurst und getrockneten Pilzen. Am Stefanustag kommen Bekannte und Freunde und das Haus wird voll. So wie in Deutschland! Frohe Weihnachten! – Wesolych Swiat Ludger Semmelmann Partnerschaftsverein Biberach e.V.